VdM 08/2018
Der Adlerbussard von der Hetter
Von Lukas Rühlke
Mit einem solchen Kracher im Naturschutzgebiet Hetter im Kreis Kleve hätten wir, Johannes A. und ich, an diesem Morgen des 6. Juli 2018 nicht gerechnet.
Johannes machte ein Freiwilliges Ökologisches Jahr und ich war zu dieser Zeit Praktikant beim Naturschutzzentrum im Kreis Kleve e.V. Es war der letzte Tag meines Praktikums. Auf dem Programm stand das Messen der Pegel unter anderem in der Hetter an, die künstlich bewässert wird, um die Feuchtwiesen zu erhalten, die große Bedeutung für Wiesenlimikolen als Brutvögel haben.
Natürlich hatten wir unsere Ferngläser und eine Digitalkamera mitgenommen, falls wir einen seltenen Vogel finden sollten. Uns steckte noch der Schlaf in den Knochen, als wir durch die mittlerweile trockenen Grünflächen der Hetter schlurften. Während der Kontrolle der jeweiligen Pegel sprachen wir darüber, dass sich mal wieder ein Wespenbussard zeigen könnte, da wir dieses Jahr noch keinen gesehen hatten. Kurz vor einem der ersten Pegel kreisten sehr niedrig vier Greifvögel. Die obersten drei waren Mäusebussarde, welche in der Hetter keine Seltenheit sind. Der untere Greifvogel löste dann folgende Diskussion aus:
Johannes A.: “ Schau mal, das könnte ein Wespenbussard sein.“
Lukas R. (scherzhaft gemeint): “ Nein. Der hat viel zu breite Flügel und auch insgesamt viel zu groß. Wenn schon, dann ist das ein Adlerbussard.“
Johannes A.: “ Das könnte sogar wirklich sein.“
Lukas R.: “ Ja, tatsächlich. Das könnte passen.“
Zu unserem Erstaunen spitzte sich dieser anfängliche Scherz zu einem ernsten Verdacht zu. Der verdächtige Vogel wurde schließlich von einem Mäusebussard attackiert. Dadurch wurde der auffällige Größenunterschied zwischen dem Adlerbussard (Buteo rufinus) und dem Mäusebussard sehr gut veranschaulicht. Danach setzte er sich auf einen Zaunpfahl.
Um eine mögliche Verwechslung mit einem Mäusebussard auszuschließen, haben wir dann im Feld mit Bestimmungsliteratur jedes Merkmal nachgeprüft. Je später es wurde, desto stärker wurde das Hitzeflimmern, welches uns die Bestimmung nicht gerade leichtgemacht hat. Um den Adlerbussard aus dem bestmöglichen Winkel zu beobachten, sind wir mindestens zweimal von der deutschen Seite der Hetter zur holländischen Gebietsgrenze und wieder zurück gefahren.
Nach circa eineinhalb Stunden hatte sich der Vogel auch schon ein paar Wiesen weiter auf einen Zaunpfahl gesetzt. Für uns war es zu dem Zeitpunkt klar: ein Adlerbussard. Leider kamen wir nicht mal mehr im Ansatz so nah an ihn heran wie in den ersten Beobachtungssekunden, sodass die Belegfotos keinesfalls eine gute Qualität aufwiesen (Abb. 1-4). Das machte die Sache nicht einfacher.
Nun stand nur noch eine Frage im Raum. Wie melden zwei Jung-Ornis diesen Adlerbussard authentisch? Daher haben wir uns dazu entschieden den Vogel als „Verdacht auf Adlerbussard“ zu melden und dann auf eine dritte Meinung von Birdern mit mehr Erfahrung zu setzen.
Gegen die Mittagszeit waren wir wieder am Naturschutzzentrum und in der wahrscheinlich gefühlt längsten Mittagspause kam die ersehnte Nachricht, dass es sicher ein Adlerbussard sei.
Der bis dahin letzte Letzte wurde am 25. Mai 2018 in Niedersachsen gemeldet. Seit 1995 steigen die Zahlen der Sichtungen von Adlerbussarden in Deutschland stetig. Meistens werden sie gegen Ende des Jahres beobachtet, da es sich um Zugvögel handelt und der Herbstzug erst in den Monaten September und Oktober in die Überwinterungsgebiete in Zentralafrika und Südwestasien beginnt. Mitte des Jahres tauchen meist Nichtbrüter oder diesjährige Jungvögel, die gegen Ende Juni flügge werden, in Mitteleuropa auf. In manchen Gebieten sind Adlerbussarde auch Standvögel, wie zum Beispiel in Nordafrika (Unterart cirtensis; Forsman 2016).
Es gibt mindestens drei Morphen. Selbst die klassische Gefiederfärbung ist in dem wissenschaftlichen Namen dieser Vogelart enthalten, denn Buteo rufinus bedeutet so viel wie rostroter oder rötlicher Bussard.
Das räumlich nächste Brutvorkommen liegt (neben den cirtensis-Adlerbussarden im westlichen Nordafrika) seit 1992 in Ungarn. Damit handelt es sich um eine Art mit südöstlichem Verbreitungsschwerpunkt. Der aktuelle Bestand Europas beträgt ungefähr 8.700 bis 15.000 Brutpaare. Für gewöhnlich nutzen Adlerbussarde Halbwüsten, Trockensteppen und je nach Nahrungsangebot auch echte Wüsten zur Nahrungssuche.
Abb. 1-4 Der Adlerbussard in der Hetter 6. Juli 2017. Fotos: Lukas Rühlke
Abb. 5 Der Adlerbussard in der Hetter 7. Juli 2018. Foto: Daniel Fröhle
Durch die längere Trockenphase war im Kreis Kleve der Boden der Hetter ausgetrocknet und das Gras schon großflächig verdorrt. Auch ist dieses Gebiet für eine hohe Zahl von Kleinsäuger oder anderen Nahrungstieren für Greifvögel bekannt. Vielleicht haben dieser steppenartige Landschaftscharakter und ein gutes Nahrungsangebot den Adlerbussard dazu bewogen sich in der Hetter mehrere Wochen aufzuhalten.
Für uns war es ein gelungener Abschluss des Praktikums beim Naturschutzzentrum im Kreis Kleve. Damit hatte Nordrhein-Westfalen eine neue Pilgerstätte für Birder dazugewonnen. Wir haben es uns dann auch nicht mehr nehmen lassen, in den folgenden Tagen nochmal zum Adlerbussard zu fahren, um diesen zu beobachten. Den ganzen Monat Juli über wurde die Hetter von so vielen Vogelguckern besucht wie wahrscheinlich selten zuvor (Abb. 5).
Der Adlerbussard von der Hetter wurde von der Avifaunistischen Kommission der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO) anerkannt (www.nwo-avi.com). Es ist der achte Nachweis in NRW (AviKom 2017).
Literatur
Avifaunistische Kommission Nordrhein-Westfalen (2017): Seltene Vögel in Nordrhein-Westfalen. Münster.
Forsmann, D. (2016): Flight Identification of Raptors of Europe, North Africa and the Middle East. London.
Anschrift des Verfassers:
Lukas Rühlke
Moelscherweg 46a
47574 Goch